Muss ich mich schon wieder verbiegen?

Ich sitze in Vorarlberg am wunderschönen Bodensee und es regnet. Die Stimmung ist ebenso trüb wie das Wetter. Mein Herr und seine Frau haben mich aufgrund familiärer Verpflichtungen für diesen Vormittag alleine gelassen. Gestern Abend bin ich einfach aufgestanden und schlafen gegangen. Ohne ein Wort. Mein inneres Unwohlsein, das sich seit Tagen aufschaukelt, wurde durch eine einzige Aussage gekippt. Mir war nicht bewusst, dass mein stiller Rückzug wieder einmal zur Sturmfront wird.

Nun ist mein Herr enttäuscht und meinte nur sehr scharf, ich hätte ihn blamiert und mein Verhalten wäre indiskutabel. Das häuft sich. Wir sind sehr oft nicht auf derselben Wellenlänge. Das ist nicht nur eine zwischenmenschliche Sache, sondern auch dem Umstand geschuldet, dass wir in vielen Dingen sehr unterschiedliche Ansichten haben. Ich habe das häufiger bemerkt im Laufe unserer Treffen. Immer wieder kommt es zu solchen Diskrepanzen. Ich tätige Aussagen, die für mich ganz normal sind. Im täglichen Umgang mit meinem Mann würden viele Dinge, die ich sage, nicht einmal bemerkt werden. Weder positiv, noch negativ. So rede ich, so verhalte ich mich. 600 km weit weg von meinem Herrn ist das kein Thema. Aber mit irgendeiner unbedachten Aussage, mit irgendeiner unüberlegten, unbewussten Handlung, die ich setze, stoße ich ihn immer wieder unvermittelt vor den Kopf.

Heute früh habe ich mich gleich für mein Verhalten gestern entschuldigt, habe nicht, wie die letzten male etwas Zeit vergehen lassen. Schlafen zu gehen ohne Verabschiedung ist kein wertschätzendes Verhalten, das sehe ich ein. Für mich war es notwendig zu gehen. Er hat mich vorhin abgewiesen und gemeint, es wäre nicht immer alles wieder gut, wenn man sich entschuldige. Er müsse darüber nachdenken. Meine Reaktion darauf hat ihm wiederum nicht gefallen, denn ich habe angeboten, meine Sachen zu packen. Dieses Angebot war wieder genauso eine Reaktion, die er nicht billigt. Jetzt ist er einige Stunden weg und ich sitze hier im Regen und schreibe mir alles von der Seele. Ich ordne und zentriere mich.

In meinem Kopf gibt es immer noch die perfekte BDSM-Verbindung für mich. Was ich bei ihm gefunden habe ist aber etwas anders. Das werte ich nicht als besser, oder schlechter, aber es ist nicht, was ich gesucht habe. Das ist nun mal Tatsache. Er bietet mir mehrere Ebenen, die ich so auch nicht gesucht habe. Ich konnte mir ja gar nicht vorstellen, dass eine BDSM-Verbindung derart ausgestaltet sein könnte. Das hat erst er mir gezeigt. Es tut mir gut, mehr an meine beruflichen Skills zu glauben und mich Dinge zu trauen, die ich mich sonst wahrscheinlich nicht getraut hätte. Doch es gibt eine Komponente, für die ich scheinbar nicht gemacht bin. Der Familienanschluss passt nicht in mein Bild. Die Frau ist besonnen und sie ist offen und freundlich zu mir. Dennoch harkt es auch hier. Wir haben uns einander nicht ausgesucht als Freundinnen. Wir haben einen unterschiedlichen Zugang zum Leben und zu dem Mann, der uns verbindet. Das liegt in der Natur der Sache und kommt nicht überraschend daher. In Telefonaten mit ihr habe ich durchaus den Eindruck, wir haben Parallelen in unseren Sichtweisen. Doch real ist es für mich schwierig und ich denke, auch für sie ist es keine einfache Situation.

Ich will mich nicht arrangieren mit dieser Situation, ich will eine Verbindung, in der ich mich wohl fühle ohne mich zu verstellen, ohne vorher zu überlegen, wie ich was sagen kann ohne Staub aufzuwirbeln.

Ich will so sein, wie ich bin.

Sonst kostet mich das ganze mehr Energie, als ich am Ende daraus ziehen kann. Die Art der Verbindung zwischen meinem Herrn und mir auf diesen unterschiedlichen Ebenen ist für mich deshalb oft extrem anstrengend und nervenaufreibend. Dazu kommt noch die Kommunikation via Chat, bei der oftmals die Zwischentöne oder das Augenzwinkern verloren gehen. Wir sehen uns immer mehrere Tage am Stück, nicht nur für eine Session, weil der Weg so weit ist. Er versucht mich, wenn ich ihn besuche, in sein Leben zu integrieren. Es erfüllt ihn mit Freude, dass ich da bin. Er sagt mir das auch. Dabei fühle ich mich wohl und unwohl zugleich. Ich kann das nicht erklären. Vielleicht setzt er mich damit unbewusst unter Druck? Er verfolgt die – für ihn – unumstößliche Theorie, dass ich wichtig bin – auch für die beiden als Paar. Und dass ich die Richtige bin. Aber ist das für mich auch das Richtige? Ich fühle das nicht so. Die Dreierkonstellation belastet mich. In den Momenten, in denen alles soweit gut ist und die Stimmung passt, sagt er mir, wie schön er meine Anwesenheit findet. Das tut gut. Aber ich erkenne immer wieder eine gewisse Gehässigkeit, eine Polemik mit der ich nicht umgehen kann. Zudem misst er mit zweierlei Maß und ich bin am Ende die, die „ständig negativ ist, die verwöhnt ist und zu rasch aufgibt“.

So bin ich nicht und ich will mir auch nicht das Gefühl einreden lassen, dass ich so wäre.

Jeder Mensch hat Eigenheiten. Ich fühle mich nicht, wie jemand, dessen Amplitude da besonders extrem ausschlägt. Ich mag z.B. manches Essen nicht. Aber ich bin nicht verwöhnt. Ich beschwere mich nicht, weil Essen auf meinem Teller landet das ich nicht mag. Ich will ja nicht die sein, wegen der man alles umplanen muss, nur weil die heikle Sklavin keine Muscheln isst. Ich esse, was ich möchte und lasse den Rest am Teller. Ich beschwere mich nicht! Danke, es war (trotzdem) ausgezeichnet! Dass mir das dann vorgeworfen wird, das wertet mich ab. Es verletzt mich, weil ich eben genau verhindern wollte, Worte der Ablehnung zu verwenden für Essen, das mein Herr mit Freude gekocht hat. Da ist eine Grenze, die für mich wichtig, ja gar existenziell ist. Ich bin, wie ich bin. Und ich bin damit immer zufriedener, je älter ich werde. Ich will mich nicht schon wieder für einen Mann verbiegen oder verändern. Ich bin ein positiver Mensch, der nur, wie viele andere auch, zu wenig an die eigene Kraft glaubt. Das weiß ich. Ich habe meine emotionalen Höhen und Tiefen und an manchen Tagen habe ich mehr Kraft, als an anderen. Meine Fehltritte (aus seiner Sicht) mehren sich und Sticheleien summieren sich und belasten mich so sehr, dass ich dann ins Schwanken gerate. Dann reicht ein externer Impuls aus und ich ziehe mich zurück.

Das Ergebnis macht mich unglücklich. Ich bin stiller und wesentlich weniger lustiger als üblich. In meinem Freundeskreis verhalte ich mich vollkommen anders, bin witzig und immer mitten drin im Geschehen. Mit ihm aber habe ich immer häufiger Angst, dass das, was ich sage, wieder gegen mich ausgelegt werden kann, als negativ gewertet wird, und er dann „nachdenken“ muss. Schon die Tatsache, dass ich so reagiere, lässt wieder die Alarmglocken in mir aufheulen. Dieses Muster ist mir bekannt und ich will es nicht mehr in meinem Leben haben.

Warum ich die Alarmglocken erneut ignoriere?

Warum ich nicht einfach einen Strich ziehe und mir eingestehe, dass dieses Experiment, von dem ich wirklich geglaubt habe, dass es klappen kann, gescheitert ist? Weil er daran glaubt und daran festhält. Trotz der Widrigkeiten. Das ist die Sicherheit, die ich mir ja von ihm wünsche. Er ist für mich da. Ist dieses Verhalten seinerseits schon Manipulation oder einfach nur die Gabe, nicht zu schnell aufzugeben, die ich ja eigentlich von ihm lernen kann? Ich denke allerdings sehr wohl – im Gegensatz zu ihm – dass es manchmal das einzig Kluge ist, aufzugeben und sich das eigene Scheitern einzugestehen. Darin liegt die Chance zu lernen und denselben Fehler kein zweites Mal zu machen. Doch aufzugeben ist, aufgrund seiner Lebensgeschichte, ein NoGo für ihn. Da schlägt mir derbes Unverständnis entgegen. Zum überwiegenden Teil imponiert mir diese Ansicht. Zielstrebigkeit, dran bleiben, daran glauben und es wahr werden lassen. So (weit) bin ich aber eben (noch) nicht. Werde ich das von ihm lernen, oder stecken bleiben im Unwohlsein, weil ich einfach nicht die sein will, die aufgibt?

Ich verhalte mich intuitiv. Für mich ist das lebensnotwendig, für ihn unverständlich.

Ich bin kein Mensch mit schweren Marotten, ich habe nichts an mir, mit dem man nicht leben kann. Mit dem man nicht lernen kann, umzugehen. Nichts weltbewegend Absurdes. Ich spüre aber das Unverständnis, wenn ich nicht wie gewünscht reagiere und mich verhalte, wie es für mich in der vorhandenen Situation intuitiv ist. Ich verhalte mich nicht wie ein Kleinkind, werde nicht laut und mache keine Szene, wenn mir etwas nicht passt. Ich muss keinen Lebensstil annehmen, der nicht meiner ist und ich tue auch nicht mehr so, als würde ich manche Dinge mögen, wenn ich es nicht tue. Ehrlichkeit ist immerhin einer unserer vier Grundpfeiler. Nur an der einen oder anderen Formulierung sollte ich wohl arbeiten, denn ich will ihn ja auch nicht abwerten. Manchmal ist es besser, nichts zu sagen und die Situation wertfrei zu akzeptieren. Ich kann abwägen, ob ich Sichtweisen übernehmen möchte oder sie einfach als Sichtweise des Gegenübers annehme, weil ich es anders sehe. Im Gegenzug möchte ich aber keine Abwertung meines Seins spüren. Das ist die Grenze. Leben und leben lassen.

Wir sind zwei vollwertige Menschen, die im Leben stehen. Diese Augenhöhe in einer BDSM-Verbindung ist neu für mich. Ich bin es anders gewohnt, wurde entwertet und als Stück benutzt. Meine Meinung hat niemals Wert gehabt, ich bin verschwunden in der letzten Verbindung. Das will ich nicht mehr. Ich habe mein eigenes Leben und er hat sein Leben. Davon gehe ich nicht mehr ab. Ich verbiege mich nicht mehr für meinen Herrn. Das ist unehrlich und nicht authentisch, auf Dauer auch nicht erfüllend.

Noch glaube ich daran, dass wir unseren Weg finden. Trotz der Widrigkeiten. Es menschelt. Das ist normal.