Dieser Blog war nie dazu gedacht, nur die Sklavin in mir zu dokumentieren und ihre Entwicklung, ihre Höhen und Tiefen und ihre Gedanken niederzuschreiben. Sondern mich interessieren ja auch die Hintergründe. Dazu heute mal ein Ausflug in die Welt des Sadomasochismus aus der wissenschaftlichen Perspektive.
BDSM ist Teil der sexuellen Identität. Lange Zeit wurde der wissenschaftlichen Erforschung wenig Raum gegeben. Erst am Ende des vorigen Jahrtausends widmeten sich Medizin und Psychologie diesem Thema intensiver. Auf der Suche nach wissenschaftlichen Arbeiten habe ich allerdings wenig gefunden. Ich hatte schon vor ein paar Jahren festgestellt, dass es wenig Material, wenig Forschung und wenig Studien gibt. Nur vereinzelt ist online Wissenschaftliches dazu zu finden.
Es gibt drei Autoren bzw. Bücher, die ich in diesem Zusammengang nennen möchte. Eines davon entstand 1886 und stammt vom deutschen Psychiater Richard von Krafft-Ebbing: „Psychopathia sexualis“. In diesem Werk, das zu einem Standardlehrbuch Anfang des 19. Jahrhunderts wurde, behandelt er als einer der Ersten Sadomasochismus und spricht darin von einem pathologischen Sexualtrieb. Er definierte Sadismus als „die Empfindung von sexuellen Lustgefühlen bis zum Orgasmus beim Sehen und Erfahren von Züchtigungen u. a. Grausamkeiten, verübt an einem Mitmenschen oder selbst an einem Tier, sowie der Drang, um der Hervorrufung solcher Gefühle willen anderen lebendigen Wesen Demütigung, Leid, ja selbst Schmerz und Wunden widerfahren zu lassen.“ Masochischmus war für ihn eine „eigentümliche Perversion der psychischen Vita sexualis, welche darin besteht, dass das von derselben ergriffene Individuum in seinem geschlechtlichen Fühlen und Denken von der Vorstellung beherrscht wird, dem Willen einer Person des anderen Geschlechts vollkommen und unbedingt unterworfen zu sein, von dieser Person herrisch behandelt, gedemütigt und selbst misshandelt zu werden.“ Es zeigt sich in diesen Definitionen, dass Krafft-Ebbing nicht unterscheidet, ob SM einvernehmlich oder unter Zwang stattfindet. Diese Sichtweise prägte die Wissenschaft bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts. Der Begriff Sadomasochismus wurde dann wenige Jahre später vom österreichischen Psychoanalytiker Isidor Sadger 1913 erstmals verwendet.
Das zweite Buch ist zweifelsohne „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch. Sein Name ist namensgebend für Krafft-Ebbings erstmalige Bezeichnung von Masochismus. Der Begriff Sadismus rührt vom Schriftsteller Marquis de Sade her, der in seinen Werken gewaltpornografische Phantasien beschreibt.
1948 wurde Sadomasochismus als offizielle psychiatrische Diagnose eingeführt. Wie den meisten, die sich damit beschäftigt haben, bekannt sein dürfte wird in der neuersten Ausgabe des Klassifikationssystems ICD – Nummer 11 – BDSM nicht mehr als pathologisch geführt. Dies hilft gesellschaftlich jedenfalls dabei, BDSM aus der Schmuddelecke der Perversionen zu holen.
Ich habe eine Studie aus Belgien gefunden, in der 68% der Teilnehmer:innen, an der 1027 Personen teilgenommen haben, davon berichten, dass sie mindestens eine sexuelle Fantasie mit BDSM-Bezug haben, 46% gaben sogar an, mindestens eine Fantasie real umgesetzt zu haben. 7% der Befragten bezeichneten sich selbst als BDSM-Praktizierende. Die Grenze zwischen BDSMern und nicht-BDSMern ist also nicht klar zu ziehen.
Woher kommt meine Präferenz?
Woher kommt die Präferenz zu BDSM? Missbrauch in der Kindheit und Gewalterfahrungen werden häufig vermutet. Doch gibt es dazu wissenschaftliche Grundlagen? Denn ich habe weder Missbrauch noch Gewalterfahrungen erlebt. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen mit Missbrauchsvergangenheit überdurchschnittlich oft BDSM praktizieren. Aber es gibt auch Studien, die belegen, dass unter BDSM affinen Menschen nicht mehr mit Missbrauchshintergrund sind, als im Rest der Bevölkerung. Die Wissenschaft ist hier also noch nicht am Ende. Weiters sind die wenigen Studien, die es gibt, meist in kleinen Stichproben angelegt und haben nur begrenzte Gültigkeit in Bezug auf Generalisierung.
Leider muss ich feststellen, dass die wissenschaftlichen Grundlagen auch 2024 sehr überschaubar sind. Dabei wäre es wichtig – sowohl für BDSM-affine, als auch für nicht BDSM-affine Menschen – BDSM als möglichen und nicht krankhaften Teil der sexuellen Identität zu begreifen. Gesellschaftliche Sichtweisen erzeugen Druck jenen gegenüber, die sich damit identifizieren. In den letzten Jahren treten vermehrt s.g. Kink aware Therapeut:innen, Berater:innen und auch Ärzt:innen in Erscheinung. Sie helfen affinen Menschen dabei, ohne Vorverurteilung in Therapie oder Beratung zu gehen und nicht (nur) am BDSM-Kontext zu arbeiten, sondern auch an anderen Themen. Denn affine Klient:innen haben oft damit zu kämpfen, dass sie nicht „alles erzählen“ können oder wollen, aus Angst das Gegenüber würde sie dadurch in eine Schublade packen und ein Arbeiten am eigentlichen Thema, weshalb sie Hilfe in Anspruch nehmen wollen, nicht mehr möglich ist. Auch wenn dieses Thema nichts mit ihrer Neigung zu tun hat. Für die gesellschaftliche Entwicklung sind Kink Aware Professionist:innen von großer Bedeutung.
Veränderungen im Denken der Menschen können nur über längere Zeiträume erfolgen, Gesellschaft entwickelt sich. Bleibt zu hoffen, dass die Entwicklungen zu einer offenen Gesellschaft voranschreiten und sich nicht rückwärts bewegen. Ich versuche mit diesem Blog meinen Teil dazu beizutragen.
Zum Schluss: Veränderungen in der Fragestellung
Was mich schon lange beschäftigt ist die Frage nach dem „Warum“. Bereits in einem der ersten Blogbeiträge habe ich mir diese Frage gestellt. Dabei sollte das Fragewort eigentlich „Wozu“ lauten. Denn damit suche ich nicht in der Vergangenheit, sondern sehe in die Zukunft. Ich habe die Chance das Positive für mich herauszuarbeiten.
Hinweis: Da es sich bei meinem Blog nicht um wissenschaftliche Ausarbeitungen handelt, verzichte ich auf Quellenangaben.